Unternehmen arbeiten seit Monaten im Krisenmodus. Es gilt, die nötige Reaktionsfähigkeit zu entwickeln, um kritische Lieferketten in der Erholungsphase und der neuen Normalität kontinuierlich überwachen zu können. Das erfordert Transparenz über alle Teile der Lieferkette hinweg, aber daran mangelt es vielen Unternehmen. Die Bedeutung von Risikomanagement hatte bisher vielfach keine Priorität. Die Unsicherheit wird aber auf unbestimmte Zeit anhalten. Unabhängig davon gibt es eine breite Palette anderer Risiken, die unbedingt systematisch zu analysieren sind.

Risikopalette ist breit angelegt
Die bedeutendsten Einschläge waren bis dato regional und zeitlich überschaubar, wie Vulkanausbruch Eyjafjallajökull, Nuklearkatastrophe Fukushima oder Überschwemmung in Thailand. Die Coronakrise erfordert hingegen weltweit Anpassungen in nie gekanntem Ausmaß. Unternehmen kämpfen derzeit vor allem mit Liquiditätsproblemen aufgrund der Nachfrage- und zeitgleichen Versorgungsschocks. Die Force-Majeure-Anzeigen, bei denen sich Lieferanten auf Nichterfüllung von Lieferung bzw. Leistung aufgrund „höherer Gewalt/Unmöglichkeit“ berufen, stiegen von Dezember bis April um das 8,5-fache mit einem Rückgang im Mai. Die Zahl der Lieferverzögerungen wuchs um das 7,3-fache. Das belegt die Wichtigkeit von Präventions- und Wiederherstellungssystemen, um potenziellen Bedrohungen zu begegnen damit der Geschäftsbetrieb aufrechterhalten werden kann (Business Continuity).
Die Risikopalette ist breit und die Auswirkungen der Einflussfaktoren werden oft unterschätzt. Aus Unachtsamkeit oder mangelnden Vorkehrungen entstehen z.B. Brände, Explosionen und Stromausfälle. Streiks können Produktionsstandorte und Häfen zum Erliegen bringen. Naturkatastrophen werden schneller als gedacht zur ernsthaften Bedrohung. Eine zu große Abhängigkeit von einem konzentrierten Lieferanten-Portfolio oder von einem Land bringt die Lieferkette rasch ins Wanken. Der Bogen der Gefährdungen spannt sich vom eigenen Unternehmen über die gesamte Lieferkette hinweg. Ein Großteil der gemeldeten Unterbrechungen tritt zudem bei Sublieferanten auf: Meist besteht das Endprodukt aus nicht verzichtbaren Teilen, die viele kleinere Lieferanten in unterschiedlichen Ebenen des Liefernetzwerkes fertigen. Ein umfassendes Risikomanagement muss also mehr berücksichtigen als nur die Überwachung der Top 50-Partner.
Die Signale des Marktes richtig interpretieren
Ist die Informationskette lückenhaft, vergehen oft Tage oder Wochen, bevor es zu halbwegs adäquaten Gegenmaßnahmen kommt. Zwischenzeitlich werden oft durch spätes Reagieren oder unstrukturierte „Feuerwehrmaßnahmen“ Ressourcen verbrannt. Folge: hohe (ungeplante) Zusatzkosten, Umsatzeinbußen, Imageschäden. Aus dem Rauschen der globalen Daten und Newsströme sind Signale zu filtern, die geeignet sind, Indikationen zu risikobehafteten Lieferanten und Standorten zu identifizieren, bevor es zu Störungen kommt. Standard-Finanzratings sind ein Teil der Lösung, reichen alleine aber bei weitem nicht aus. Aufhorchen sollte man schon bei Wechsel in Schlüsselpositionen, geänderter Eigentümerstruktur, Produktrückrufaktionen,
Streiks oder CSR-Verstößen.
Ursache und Wirkung verstehen
Entscheidend ist das Verständnis von Ursache und Wirkung. Unternehmen müssen die Auswirkungen von negativen Einflüssen auf Produktion, Versorgung, Image und Wertschöpfung des Unternehmens antizipieren. Dazu bedarf es belastbarer Informationen über potenzielle interne bzw. externe Gefahrenherde und Konsequenzen im Ernstfall. Jedes Unternehmen muss kategorisieren und standardisierte Eskalationsmodelle mit Business Cases bestimmen können. Dazu gehört eine 360-Grad-Sicht auf das jeweilige Risiko, auf beteiligte Lieferanten und kritische Elemente, z.B. Häfen, Güterverkehrszentren und Flughäfen. Das schwächste Glied in der Lieferkette ist dann entsprechend präventiv zu stärken oder alternativ durch Vermeidungs- oder Risikotransfermaßnahmen zu beeinflussen.
Ganzheitliches Risikomanagement
State-of-the-Art ist die automatische Bewertung und Überwachung aller Risikokategorien. Ein Frühwarnsystem sollte potenzielle nutzerrelevante Signale tagesaktuell aus dem globalen Nachrichten-Datenstrom herausfiltern. Dies ermöglicht eine vollautomatische Risikoüberwachung. In Echtzeit lassen sich so zu jedem Lieferanten, Land, Standort und Logistikknotenpunkt spezifische Daten generieren, die den Risikomanagement-Prozesskreislauf umfassend mit relevanter Risiko-Intelligenz speist. Eine Bewertungsmatrix ermittelt die Art des Risikos und den Einfluss auf bspw. die Profitabilität oder Umsatz. Ein Ampelsystem und Alerts zeigen, wann es wo kritisch wird.
Im Eskalationsfall werden Risikomanagement Teams in den betroffenen Geschäftsbereichen aktiviert. Eingebundene Mitarbeiter wissen durch Workflowunterstützung, wie im jeweiligen Fall vorzugehen ist. Das Unternehmen bleibt handlungsfähig und gewinnt wertvolle Zeit. Lieferanten lassen sich bereits während der Geschäftsanbahnung ganzheitlich bewerten, analysieren und vergleichen. Damit wird das Risikomanagement schon bei der Vergabeentscheidung zum Kriterium für die Auswahl des besten Partners.
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